Einführung #
Verfahrenslotsen sind Mitarbeiter der Jugendämter. Sie haben eine Doppelrolle, nämlich einerseits eine Unterstützungsfunktion zugunsten der Leistungsberechtigten (§ 10b Abs. 1 SGB VIII) und andererseits eine Unterstützungsfunktion zugunsten der örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe (§ 10b Abs. 2 SGB VIII). Im Folgenden soll vorrangig die Unterstützungsfunktion zugunsten der Leistungsberechtigten sowie ihrer Mütter, Väter, Personensorge- und Erziehungsberechtigten in den Blick genommen werden.
Aufgaben der Verfahrenslotsen #
Anspruch auf Unterstützung und Begleitung
Einen Anspruch auf Unterstützung und Begleitung durch einen Verfahrenslotsen haben junge Menschen, die Leistungen der Eingliederungshilfe wegen einer Behinderung oder wegen einer drohenden Behinderung geltend machen, oder bei denen solche Leistungsansprüche in Betracht kommen. Der Anspruch steht darüber hinaus auch ihren Müttern, Vätern, Personensorge- und Erziehungsberechtigten zu. Die Verfahrenslotsen unterstützen bei der Antragstellung, Verfolgung und Wahrnehmung dieser Leistungen (§ 10b Abs. 1 S. 1SGB VIII).
Voraussetzungen
Der Anspruch besteht unter den folgenden Voraussetzungen:
Anspruchsberechtigter Personenkreis
Der Unterstützungsanspruch durch die Verfahrenslotsen erstreckt sich auf folgende Personen:
Kinder, Jugendliche und junge Volljährige
Zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehören „junge Menschen“. Ein junger Mensch ist nach der gesetzlichen Definition eine Person, die noch nicht 27 Jahre alt ist. Das Beratungsgebot richtet sich daher nicht allein an Kinder und Jugendliche, also Minderjährige, sondern explizit auch an die Gruppe der „jungen Volljährigen“.
Ihre gesetzlichen Vertreter
Da die Personengruppe der „jungen Menschen“ die Altersgruppe von 0 bis einschließlich 26 Jahre umfasst, stellt sich die Frage, ob der Unterstützungs- und Begleitungsanspruch von den jeweils betroffenen jungen Menschen eigenständig oder nur durch einen etwa vorhandenen gesetzlichen Vertreter geltend gemacht werden kann.
- Betreuer
Der Anspruch kann von allen jungen Menschen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, unmittelbar selbst geltend gemacht werden. Dies gilt grundsätzlich auch für solche jungen Menschen, die unter gesetzlicher Betreuung stehen. Erst wenn es im Anschluss an die Beratung und Unterstützung um die Geltendmachung der Leistung durch Anträge oder Rechtsbehelfe geht, bedarf es im Falle eines entsprechenden Einwilligungsvorbehaltes deren Stellung oder Einlegung durch die Betreuerin oder den Betreuer. - Sozialrechtsmündigkeit bei Jugendlichen
Bei Kindern und Jugendlichen, also bei jungen Menschen, die noch nicht volljährig sind, stellt sich die Frage, ob der Unterstützungs- und Begleitungsanspruch grundsätzlich nur vermittels des gesetzlichen Vertreters geltend gemacht werden kann. Soweit Jugendliche das 15. Lebensjahr vollendet haben, steht ihnen ein eigenständiger Beratungsanspruch zu. Dies gilt jedenfalls so lange der gesetzliche Vertreter nicht widerspricht. - Eltern und andere gesetzliche Vertreter
Umgekehrt liegt die Entscheidung bei unter 15-Jährigen grundsätzlich bei den Eltern bzw. sonstigen gesetzlichen Vertretern. Der allgemeine Beratungsanspruch von Kindern und Jugendlichen bleibt hiervon unberührt. - Mütter und Väter
Mütter und Väter der vorgenannten jungen Menschen steht ein eigener Anspruch zu. Mütter und Väter können den Unterstützungs- und Begleitungsanspruch auch dann gelten machen, wenn sie selbst nicht sorgeberechtigt sind. - Personensorgeberechtigte
Personensorgeberechtigt ist, wer nach den Vorschriften des BGB entweder allein oder gemeinsam mit einer anderen Person sorgeberechtigt ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII). Die Mutter hat das Sorgerecht regelhaft inne – entweder als gemeinsames oder als alleiniges Sorgerecht. Der Vater hat das Sorgerecht regelhaft (gemeinsam mit der Mutter) inne, wenn er mit dieser verheiratet is, wenn beide Eltern eine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben haben oder wenn das Familiengericht ihm die gemeinsame Sorge übertragen hat. - Erziehungsberechtigte
Erziehungsberechtigt ist neben dem oder den Erziehungsberechtigten jede Person über 18 Jahre, soweit sie aufgrund einer Vereinbarung mit dem Personensorgeberechtigten nicht nur vorübergehend und nicht nur für einzelne Verrichtungen Aufgaben der Personensorge wahrnimmt (§ 7 Abs. 1 Nr. 6 BGB). Diese Voraussetzungen treffen insbesondere auf Personen zu, die die Erziehung eines Kindes im Rahmen von betreuten Wohnformen o.ä. übernommen haben. Erziehungsberechtigt können im Einzelfall auch andere Personen, wie z.B. Verwandte sein.
Geltendmachung von Ansprüchen auf Leistungen der Eingliederungshilfe wegen einer bestehenden oder drohenden Behinderung
Der Unterstützungs- und Begleitungsanspruch setzt voraus, dass Ansprüche wegen einer bestehenden oder drohenden Behinderung geltend gemacht werden.
Hervorzuheben ist, dass der Unterstützungs- und Begleitungsanspruch gerade nicht voraussetzt, dass eine bestehende oder drohende Behinderung bereits festgestellt wurde.
Rechtsfolge
Unterstützung und Begleitung bei der Antragstellung, Verfolgung und Wahrnehmung von Eingliederungshilfeleistungen
Der Anspruch ist gerichtet auf „Unterstützung und Begleitung bei der Antragstellung, Verfolgung und Wahrnehmung von Eingliederungshilfeleistungen“.
Eingliederungshilfeleistungen
Eingliederungshilfeleistungen sind nach § 102 SGB IX die Leistungen
- zur medizinischen Rehabilitation,
- zur Teilhabe am Arbeitsleben,
- zur Teilhabe an Bildung und
- zur Sozialen Teilhabe.
Unterstützung und Begleitung
„Unterstützung und Begleitung“ ist mehr als Beratung oder der bloße Verweis auf Anspruchsgrundlagen.
Junge Menschen mit (drohenden) Behinderungen und ihre Eltern und/oder Personensorge- und Erziehungsberechtigten stehen einem Sozialleistungssystem gegenüber, das durch eine Vielzahl von Leistungstatbeständen in unterschiedlichen Sozialgesetzen geprägt ist. Bedarfe von jungen Menschen mit Behinderungen lassen sich häufig nicht eindeutig einer bestimmten Behinderung zuordnen und lassen sich oft nur durch das Zusammenwirken mehrerer Eingliederungshilfeträger verwirklichen. Insbesondere die Orientierung und praktische Unterstützung bei der Zuständigkeitsklärung sowie die weitere Unterstützung in dem oder den Verwaltungsverfahren sind vom Unterstützungsauftrag erfasst. Die Begleitung und Unterstützung ist damit umfassend ausgerichtet und auf verwaltungspraktische, materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Fragen gerichtet. Demgegenüber haben Verfahrenslotsen keine Pflichten oder Befugnisse für die oder gar im Namen der Leistungsberechtigten Anträge zu stellen oder andere Verfahrenshandlungen vorzunehmen.
Hinwirkung auf die Inanspruchnahme von Rechten
Der Verfahrenslotse muss im Rahmen der „Unterstützung“ dafür sorgen, dass sich der abstrakte Rechtsanspruch zur konkreten Leistung verdichtet. Die Unterstützungspflicht endet, wenn die Leistung in der Sphäre des Hilfesuchenden angekommen ist, sie also sprichwörtlich „auf seinem Teller“ liegt.
Zuständigkeit
Die Leistung des Verfahrenslotsen wird durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe erbracht.